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Alles Lüge! (01/2024)

«Frieden ist heute ein umstrittener Begriff.»

Interview: Urs Hafner

Die Welt wird wieder kriegerischer. Gerade in den heissen Phasen von Konflikten braucht es den unaufgeregten und informierten Diskurs, sagt Dana Landau von Swisspeace.

Dr. Dana Landau
Dr. Dana Landau (Foto: Kostas Maros)

UNI NOVA: Frau Landau, der Krieg in der Ukraine beschäftigt Europa. Haben Sie von Swisspeace eine Friedensinitiative gestartet?

Dana Landau: Nein, auch wir organisieren nicht die grosse Friedenskonferenz, die im Moment ohnehin nicht realistisch ist. Eine solche Konferenz sehen wir nicht als unsere Aufgabe. Wir machen Friedensforschung und Friedensförderung. Falls sich die Gelegenheit ergibt, lassen wir unser Wissen in die Diplomatie einfliessen.

Die Schweiz versucht, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. Beraten Sie den Aussenminister?

Bislang nicht, aber wir wären bereit dazu.

Was kann Friedensforschung, was Diplomatie und Politik nicht können?

Mit der Politik teilen wir das Ziel, dass ein kriegerischer Konflikt beendet wird, aber wir können involvierte Politikerinnen und Politiker nicht beeinflussen und auch keinen Druck aufbauen. Wir bieten Interessierten Fachwissen und arbeiten mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie mit lokalen NGOs in Krisenregionen zusammen, kürzlich zum Beispiel mit einer Professorin aus der Ukraine, die auf Dialog und Mediation spezialisiert ist. So gesehen sind wir sehr wohl an einer Friedensinitiative beteiligt. Diese erfolgt nicht in einer Richtung, sondern reziprok; wir wollen von den Betroffenen lernen. Universitäten sind ideale Räume, um das Out-of-the-Box-Denken zu praktizieren. Das ist wichtiger denn je. Gerade in den heissen Phasen von Konflikten, etwa im Gaza-Krieg, braucht es den unaufgeregten und informierten Diskurs, der den Austausch zwischen Menschen ermöglicht, die durch verschiedene Erfahrungen und Hintergründe geprägt sind. Ich glaube, das kann die Forschung besser als die Politik.

Ist die umstrittene Neutralität der Schweiz wichtig für Ihre Arbeit?

Die Neutralität ist in der Bevölkerung weit weniger umstritten als in den Medien und der Politik. Das mit ihr verbundene gute Image der Schweiz, zu dem der IKRK- und Uno-Sitz in Genf beitragen, ist für die Friedensförderung nach wie vor von Bedeutung. Darüber hinaus gilt die Schweiz als mehrsprachige und friedliche Demokratie, sie ist kein globaler Player und war nicht an vorderster Front am Kolonialismus beteiligt. Vielleicht ist der Gehalt der Neutralität vor allem symbolischer Natur, aber sie kann für unsere Arbeit nützlich sein.

Wie erforschen Sie den Frieden?

Meine Arbeit dreht sich um Mediation, unter anderem mit Fokus auf Inklusion: Wer ist dabei beim Friedensprozess? Im Idealfall umfasst dieser nicht nur Politiker, sondern auch NGOs, religiöse Instanzen und Akademikerinnen sowie Frauenbewegungen. Meine Kolleginnen bei Swisspeace arbeiten mit Partnern aus der Ukraine zu «Transitional Justice»: Wir haben die symbolische und reale Wiedergutmachung vergangenen Unrechts im Blick, damit die Gesellschaft die Konflikte produktiv verarbeiten und nach dem Krieg weiterleben kann. Dabei geht es auch um Konflikte innerhalb der ukrainischen Gesellschaft, die vermehrt aufbrechen, etwa in den befreiten Ostgebieten, wo Menschen der Kollaboration mit dem Feind beschuldigt werden. Zur russischen Invasion sind schon jetzt Unmengen an Videomaterial gesammelt worden, die mutmassliche Kriegsverbrechen dokumentieren. Sie werden hoffentlich dereinst vor einem Tribunal zum Einsatz kommen.

Ihr Institut ist im Kalten Krieg entstanden, als sich der kommunistische Ostblock und der liberalkapitalistische Westen gegenseitig bedrohten. Ist Ihre Arbeit heute komplexer?

Die Friedensforschung macht gerade eine spannende Phase durch. Nach dem Ende des Kalten Kriegs um 1989, der übrigens in Korea und Vietnam alles andere als kalt, sondern sehr heiss war, flammten eine Reihe von Bürgerkriegen auf, die unsere Arbeit prägten. Wir favorisierten lange das Modell des Friedens, der durch Kompromisse zwischen den verfeindeten Parteien erreicht wird. Dabei gingen wir davon aus, dass diese sich nach Kriegsende die Macht im Land teilen müssen. Bei einem zwischenstaatlichen Krieg ist die Ausgangslage eine andere: Die Ukraine pocht zu Recht auf ihre Souveränität. Ein territorialer Kompromiss mit Russland würde für sie trotz Waffenstillstand nicht Frieden, sondern Unterwerfung bedeuten. Frieden ist ein umstrittener Begriff geworden. Zudem werden die Uno und ihr Regelwerk zunehmend infrage gestellt, auch durch das «Populist Peacemaking », das ich untersucht habe: Wenn Trump und andere Populisten sich mit internationalen Konflikten befassen, pfeifen sie auf die etablierten Normen und Uno-Resolutionen. Sie schieben sich und ihre Spontanlösungen in den Vordergrund, die sie von oben herab verkünden.

Muss man auch den Krieg erforschen, wenn man den Frieden erforscht?

Ja, man muss den Krieg verstehen, um den Frieden zu verstehen, aber man sollte nicht in der Kriegsanalyse verharren, sonst kann man keine Friedensvision entwickeln. In unserer Disziplin unterscheiden wir zwischen positivem und negativem Frieden. Letzterer umfasst nur die Abwesenheit von Krieg und Gewalt, Ersterer erstreckt sich auch auf die Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. So gesehen ist der Frieden eine andauernde Aufgabe. Im Kosovo, wo ich schon länger forsche, ist der Krieg seit über zwanzig Jahren vorbei, der Friedensaufbau jedoch noch immer in Gang.

Ihnen geht die Arbeit nicht aus.

So schnell wird das leider nicht passieren. Im Moment rückt in vielen Gegenden nur schon ein negativer Friede in weite Ferne.

Wird die Welt kriegerischer?

Wenn man die Zahl der Toten zum Massstab nimmt und mit den zwei Weltkriegen des letzten Jahrhunderts vergleicht, ist die Welt friedlicher geworden. Schaut man jedoch das letzte Jahrzehnt an, muss man sagen: Ja, die Welt wird wieder kriegerischer. Nach dem Kalten Krieg zeigte die Kurve nach unten, seit 2011 steigt sie jedoch wieder an, dieses Jahr dürfte sie noch weiter nach oben ausschlagen. Nicht nur in der Ukraine und in Gaza, auch im Sudan herrscht ein grässlicher Krieg.

Wie verhindern Sie, dass Sie bei Ihrer Arbeit zwischen die Fronten der Kriegsparteien geraten und für die eine Seite instrumentalisiert werden?

Im Unterschied zur Naturwissenschaftlerin arbeite ich nicht im Labor an einem Experiment, sondern stecke, besonders wenn der Konflikt sich in der heissen Phase befindet und die Emotionen hochgehen, mitten im Geschehen. In dieser Ausnahmesituation kann ich nicht einmal vor Ort forschen. Und wenn ich Interviews führe, rede ich in einem polarisierten Kontext mit Menschen, die schlimme Erfahrungen gemacht haben. Ich muss mir andauernd forschungsethische Fragen stellen: Wem höre ich zu, wem gebe ich eine Stimme, wen setze ich unter Umständen einem Risiko aus? Welche Begriffe wähle ich, um den Konflikt anzusprechen? Wer hat überhaupt die Möglichkeit, mit mir zu reden, inwiefern prägen die Vorgaben meine Erkenntnisse? Ja, ich darf mich nicht instrumentalisieren lassen, aber ich muss auch meine Verantwortung wahrnehmen und darf niemanden instrumentalisieren.

Anfang Jahr hat der Baselbieter Landrat eine finanzielle Unterstützung für Swisspeace gestoppt, weil ihm eine Äusserung von dessen Direktor zum Krieg in Gaza nicht gepasst hat. Werden Sie von der Politik öfters unter Druck gesetzt?

Nein, in der Regel interessiert sie sich nicht brennend für unsere Arbeit. Natürlich darf der Landrat alles diskutieren und seine finanziellen Entscheidungen treffen. Aber die Begründung wirkt wie eine Abstrafung. Das ist gefährlich – für die Wissenschaftsfreiheit, aber auch für die Gesellschaft. Gerade bei diesem Konflikt, der auch uns und unsere Geschichte betrifft, sollte der Diskursraum nicht eingeengt werden. Die Empörungslogik der sozialen Medien bringt uns nicht weiter, wir müssen offen reden können.

Swisspeace ist eine unabhängige Stiftung und mit der Universität Basel assoziiert. 1988 als Schweizerische Friedensstiftung gegründet, analysiert das Institut bewaffnete Konflikte in Osteuropa, Lateinund Südamerika, Afrika, im Nahen Osten und in Asien und entwickelt Strategien für deren Beendigung. Präsident der Stiftung ist der ehemalige Diplomat Jakob Kellenberger, Direktor ist Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel.


Weitere Artikel in dieser Ausgabe von UNI NOVA (Mai 2024).

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